marcella berger
 
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Das Schweigen


 

"Nur weil ich ein Hund bin, musst du mich doch nicht lieb haben!", sagte der Hund.
"Komm, hör schon auf!" sagte Bert, riss den Verschluss der Bierdose auf, setzte an und ließ die Flüssigkeit in seine Kehle laufen, ohne zu schlucken.
"Immer solidarisch an der Seite seines Herrn ist der Hund", sagte der Hund...
Bert tastete nach dem Wundverband an seinem Kopf. Die Stelle war kreisrund ausrasiert. "Ein Hund ist eben ein Hund!", sagte er und befühlte die Pflasterstreifen über dem blutdurchtränkten Mull. Die Enden lösten sich schon ab.
Der Hund schaute zu den Silos hinüber. Die riesigen grauen Zylinder waren seit ein paar Tagen eingerüstet. "Immer solidarisch an der Seite seines Herrn!", wiederholte er, ohne den Blick zu wenden.
"Is` gut, hör auf!", sagte Bert und schüttelte die Dose, um zu prüfen, wieviel noch drin war.
"Das sind seine natürlichen Anlagen", sagte der Hund.
"Ein Hund ist ein Hund!" sagte Bert. "Er bekommt sein Futter, und dafür ist er solidarisch!"
"Treu und solidarisch", sagte der Hund. "Das Wichtigste ist die Treue!"
"Ja", sagte Bert und leerte die Dose.
"Dafür wird er geliebt, der Hund. Und wenn er hin ist, kauft man sich schnell einen neuen!" Der Hund sah jetzt zum Bahndamm hinüber, wo ein Güterzug vorbeifuhr. Er war mit Autos, Betonrohren und riesigen Drahtrollen beladen und schien kein Ende zu nehmen. Minutenlang ratterten Waggons vorbei.
"Ja, ja", sagte Bert. "Jedenfalls hatte ich mal einen, ein Mädchen war das, also ich kann dir sagen, die war vielleicht anhänglich! Und so was von gelehrig! Mit der musste ich nicht spazieren gehen, die ist vor meinem Auto her gelaufen, mit der konnte ich spazieren fahren!"
Er kippte die Dose um und ein paar Tropfen fielen auf den Boden. Dann kickte er sie gegen die Schuppenwand. Die Dose rollte vor seine Füße zurück.
"Liebe und Konsequenz", sagte der Hund, und seine Stimme klang sehr sanft, "das ist das Geheimnis, das lernt man von den Hunden!"
"Geduld und eine feste Hand!" sagte Bert und schoss die Dose erneut gegen die Wand.
Der Hund schwieg und blickte die Straße hinunter. Schon seit Tagen war dort niemand mehr vorbei gekommen. Krächzend flogen Raben über die Felder und tauchten in das Grün der Maisstauden ein.
"Ich geh´ mal in die Werkstatt", sagte Bert und nahm eine neue Bierdose aus der Einkaufstüte.
Im Schuppen schaltete er das Radio ein. Der Nachrichtensprecher berichtete vom glücklichen Ausgang eines langjährigen Entführungsfalles.
"An der Kreuzung oben bei den Lärchen haben sie jetzt ein Schild aufgestellt", rief Bert aus dem Holzverschlags, "da ist ein kackender Hund drauf - und der ist durchgestrichen!"
Dann stand er kichernd mit einer Digitalkamera in der Hand im Eingang. "Ich hab´s fotografiert, damit du´s mir glaubst! Ich hab gedacht, so was musst du fotografieren! - Das interessiert dich doch, oder?" Er hielt dem Hund das Gerät direkt vor die Nase.
"Ich sehe nichts", sagte der Hund und kratzte sich mit dem Vorderlauf hinterm Ohr.
"Egal", sagte Bert und verschwand wieder im Schuppen. Die Nachrichten waren zu Ende. Popmusik aus den Achtziger wurde angekündigt. Bert stellte den Ton lauter. Bob Marleys Reggae-Rhythmen schepperten wie ein alter Dieselmotor, und Bert rief "jedenfalls gehe ich nachher noch weg!".
Der Hund legte die Schnauze auf seine Pfoten, hob aber den Kopf, als ein Geräusch aus der Werkstatt kam, das sich wie ein heftiges Niesen anhörte. Aber es war nur das Zischen der Dose beim Öffnen gewesen. Er sah Bert mit dem Bier in der Hand im Schuppen hin und her gehen und legte den Kopf wieder ab.

 
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